Angstzustände: ab wann sind sie behandlungsbedürftig?

Angstzustände

Angst, so sagt man, sei ein natürlicher Mechanismus der Gefahrenerkennung und –Abwehr. Aber was ist, wenn die Angst zu einem lebensbestimmenden Gefühl wird? Wenn die Angst sich zur Störung entwickelt und das hemmt, was man den harmonischen Ablauf des Ganzen nennt?

Angstzustände: man muss konkrete von abstrakten Ängsten unterscheiden

Kann Angst als ein Gefühl überhaupt rational sein? Wir unterscheiden durchaus begründete und unbegründete Ängste, genauso wie konkrete und abstrakte Ängste. Die Definitionen überschneiden sich großenteils, aber nicht vollständig. Es gibt konkrete Ängste, die dennoch vollkommen irrational sind: beispielsweise die Angst, dass sich Deutschland die nächsten fünf Jahre aufgrund des Klimawandels in eine Wüste verwandelt. Das ist eine konkrete Angst. Gleiches hat man jedoch z.B. von Südspanien schon vor 30 Jahren behauptet: doch immer noch präsentiert sich die Costa del Sol als palmenbestandenes, europäisches Kalifornien.

Abstrakte Ängste sind jedoch immer irrational: die erlebte Angst vor etwas steht in keinem annähernd gerechtfertigten Verhältnis zur Eintreffwahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses. Zum Beispiel die Angst, von einem Blitz erschlagen zu werden. Oder von einem Geheimdienst verfolgt zu werden, der einen permanent beschattet.

Beispiele für konkrete Ängste:

 

  • Angst beim Überqueren einer dicht befahrenen Straße

  • Angst beim Gehen im Dunkeln durch einen Park oder durch ein unsicheres Viertel

  • Angst vor Versagen bei einer Prüfung oder bei einem Vortrag

  • Angst vor Altersarmut

  • Angst davor, dass der Sohn oder die Tochter auf die schiefe Bahn gerät

  • Angst davor, wegen einer Rezession entlassen zu werden

  • Angst vor Krankheit

  • Angst vor Krieg

 

Beispiele für abstrakte Ängste

 

  • Angst davor, verfolgt zu werden

  • Angst, unter Leute zu gehen (Platzangst)

  • Angst davor, öffentlich zu sprechen

  • Angst vor bestimmten Gegenständen, Tieren, Pflanzen etc.

  • Angst davor, vor Anderen bloßgestellt zu werden

Angstzustände: was sind die Ursachen für krankhafte Angst?

Bei den so genannten Angststörungen – also Problemen mit der Angst, die den Bereich der Normalität verlassen haben – entscheidet man vier Ursachen:

 

  • Traumatische Erlebnisse: ein singuläres, isoliertes Ereignis, das in bestimmten Situationen so genannte „Flashbacks“ hervorruft. Das sind Trigger aus dem Unterbewusstsein, die die alte, traumatisch gesetzte Angst wieder beleben

  • Vegetative Dystonie: in einem kurzen Moment des Schrecks, der nicht einmal bewusst sein muss, reagiert das autonome Nervensystem so stark auf den Reiz, dass die wahrgenommenen Störungen wie aufsteigende Hitze, Schwäche, Schwindel, Schweißausbruch oder Herz-Kreislauf-Störungen sowie (eher selten) Magen-Darm-Störungen eine sekundäre Panikattacke entweder erzeugen oder die bestehende Panik dramatisch verstärken.

  • Vermeidungsverhalten: eine als unangenehm empfundene Situation führt zu einem Vermeidungsverhalten, wobei eine sich langsam und kontinuierlich steigernde „Angstspirale“ einstellt. Mit der Zeit stellt sich eine Phobie ein (s.u.)

  • Mangelhaftes Konfliktmanagement und Konfliktfähigkeit: ein überwiegend erziehungsbedingtes Problem, bei dem eine potentiell unangenehme Situation mit einer überschießenden Reaktion des Stressmanagements beantwortet wird: man ist verbal, physisch oder psychisch nicht in der Lage dazu, auf eine solche Situation angemessen zu reagieren. Dies kann auch zu Vermeidungsverhalten führen.

Angstzustände: die Panikattacke ist eine „organische Angst“

Bei der so genannten Panikattacke verselbständigen sich die Mechanismen des vegetativen Nervensystems so stark, dass die ursprüngliche Angst bzw. der Schreck nur einen Impuls setzt und der extreme organische Stress zum Selbstläufer wird, mit körperlichen Erscheinungen:

 

  • Pulsrasen und andere Herz-Kreislauf-Symptome

  • Kälte oder Hitze

  • Schweißausbruch

  • Plötzlich eintretende Bauchbeschwerden / Stuhldrang

  • Schwindel und Atemnot

  • Blutdruckabfall, bis hin zum Schock

 

Ein Momentum für eine Panikattacke kann etwas relativ Banales sein, wie z.B. ein Fahrstuhl, der stehen bleibt oder ein Flugzeug, das in ein Luftloch „fällt“. Eine Panikattacke kann sogar scheinbar „aus dem Nichts“ heraus entstehen, wie ich das bei Patienten mit Reizdarm und funktionellen Herz-Kreislauf-Störungen immer mal wieder beobachten konnte. Ein Kennzeichen Betroffener sind fast immer starke vegetative Störungen und Schwankungen. Gelegentlich ist eine posttraumatische Belastungsstörung die Ursache für solche Panikattacken.

Angstzustände: mit dem Wort „Phobien“ bekommt die Angst einen Namen

Phobien sind konkrete, aber oft irrationale Ängste: dazu gehören z.B.

 

  • Die Angst vor bestimmten Tieren wie z.B.Spinnen oder Kriechtieren

  • Die Angst davor, in der Öffentlichkeit angestarrt zu werden

  • Die Platzangst (Agoraphobie)

  • Die Angst vor geschlossenen Räumen (Klaustrophobie)

  • Die Angst vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit

  • Die Angst vor bestimmten Personen und Personengruppen

 

Kennzeichen von Phobien sind, dass nahestehende Personen diese Ängste oft nicht nachvollziehen können. Es kommt zu immer wiederkehrenden Mustern und Vermeidungsverhalten. Hinter den Ängsten muss nicht unbedingt ein konkretes Erlebnis mit dem angstauslösenden Objekt stehen.

Generalisierte Angststörungen sind „Angst nonstop“

Ein sehr unangenehmer Zustand, der in einen permanenten Stressreiz mündet und damit letzten Endes krank macht, ist die generalisierte Angststörung: sie erzeugt eine permanente innere Unruhe, Besorgnis, Angst vor einem nahen Unglück und vor allen Dingen die Angst, über bestimmte Alltagssituationen die Kontrolle zu verlieren („Ist der Herd wirklich aus – habe ich wirklich abgeschlossen?“). Kennzeichen einer solchen Angststörung sind:

 

  • Permanente und wiederholte Kontrolle

  • Schlafstörungen

  • Innere Unruhe / Nervosität

  • Reizbarkeit

  • Hektik

  • Muskelverspannungen

  • Starkes Schwitzen

 

Generalisierte Angststörungen haben so gut wie nie die überwältigende Auswirkung von Panikattacken, aber sie zermürben den Betroffenen über Monate, sogar Jahre hinweg. Die Angst wird quasi zum Selbstläufer. Oft steckt auch ein Trauma hinter solchen permanenten Angstzuständen.

Angstzustände auf Abruf: die „posttraumatische Belastungsstörung“

Wer einmal ein „Urtrauma“ hatte, ob Krieg, Naturkatastrophen, Unfall oder Bedrohung durch Gewalt, hat immer wieder mit un- bzw. halbbewussten „Triggern“ zu kämpfen, die die gleiche Angst immer wieder reaktivieren. Aber auch abseits solcher Attacken sind die Betroffenen insgesamt Unruhig, emotional labil, oft reizbar und nehmen sehr oft eine Abwehrhaltung ein, insbesondere bei Gewalt-Traumen.

Alpträume und Neigung zu sozialer Isolation sind neben den bereits besprochenen körperlichen Symptomen die wichtigsten Kennzeichen einer solchen posttraumatischen Belastungsstörung.

Angstzustände: was hilft, und wann hilft es?

Ich teile die möglichen Hilfen bei Angstzuständen und –Störungen in drei Kategorien auf:

  • Chemisch definierte angstlösende Medikamente und Antidepressiva

  • Biologische angstlösende Substanzen wie Johanniskraut, Beruhigungsmittel und Antidepressiva (Passionsblume, Baldrian, S-Adenosylmethionin etc.) und

  • Therapien sowie Körperarbeit

Antidepressiva und chemisch definierte angstlösende Medikamente sollten vor allen Dingen dann eingesetzt werden, wenn akute Situationen ernsthaft bedrohlich werden können. Das kann z.B. bei Panikattacken mit schweren Herz-Kreislauf-Symptomen oder auch schwerem Reizdarm der Fall sein. Für eine Phobie in eine mittelschwere bis schwere Depression, können diese Mittel ebenfalls zum Einsatz kommen

Pflanzliche Antidepressiva und angstlösende Arzneien können bei der generalisierten Angststörung lindern, wenn diese nicht zu stark ausgeprägt ist. Bei vegetativen Schwankungen und Schlafstörungen sind sie ebenfalls hervorragend geeignet. Allgemein sensible Personen können von ihnen profitieren. Es können mit ihnen nur leichte bis mittelschwere Depressionen ohne Suizidgefahr behandelt werden.

Therapie und Körperarbeit, von der kognitiven Verhaltenstherapie bis hin zu Qi Gong, Meditation und Yoga sollten mindestens begleitend bei allen posttraumatischen Belastungsstörungen, bei generalisierter Angststörung und bei Phobien zur Anwendung kommen. Körperarbeit wie Meditation, Yoga und Qi Gong können Panikattacken abmildern, man muss allerdings sehr viel Geduld aufbringen!

Mein Fazit

Angstzustände sind ein weites Feld, auch für den Therapeuten. Manche Arten von Angststörungen werden so sehr zu einem „somatischen“ (körperlichen) Selbstläufer, das die psychischen Ursachen fast in den Hintergrund treten. Sie müssen eventuell zumindest vorübergehend medikamentös behandelt werden. Generalisierte Angststörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen fordern hingegen auch Verhaltenstherapie bzw. Körperarbeit. Immer muss dafür gesorgt werden, dass das vegetative Nervensystem harmonischer arbeitet!

 

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