Sensomotorisches Training – Bewegung ist Medizin!
Sie haben diesen Ausdruck vermutlich noch nicht gehört – auch wenn Sie sich für Sport interessieren: sensomotorisches Training ist ein Koordinationstraining, das die Sinne und die Arbeit der Muskeln koordiniert. Der Körper „lernt“, auf Krafteinwirkung reflektorisch richtig zu reagieren. Was sich kompliziert anhört, findet eine einfache Anwendung in der Sturzprophylaxe älterer Personen.
Sensomotorisches Training – eine tiefer gehende Definition
Nach einer Definition von 2009 ist Sensomotorik das „Zusammenspiel zwischen der Aufnahme und der Verarbeitung von Reizen und den daraus resultierenden Bewegungen“. Ein simples Beispiel: wenn Sie von vorne einen Stoß gegen Ihre rechte Schulter erhalten, wird Ihr Körper mit einem Reflex reagieren – wenn Sie diesen Stoß nicht erwartet haben. Dabei gibt es ungünstige (z.B. solche, die zu einem Sturz führen können) und günstige Reaktionen (Ihnen geschieht nichts, Verletzung und Schmerz werden vermieden):
- Sie sind starr in Ihrer Körpermitte: der Stoß überträgt sich als Kraftimpuls nach rechts und bringt Sie ins Taumeln und eine unkontrollierte Rückwärtsbewegung. Das Verletzungsrisiko (Sturz) ist hoch
- Sie sind flexibel in Ihrer Körpermitte: die rechte Schulter gibt nach und weicht zurück. Der Stoß wird elastisch erwidert. Das Verletzungsrisiko ist geringer
- Ober- und Unterkörper sind untereinander koordiniert: sie werden mit dem rechten Bein gleichzeitig einen Schritt zurück machen und eine leichte Drehung nach rechts vollziehen, so dass die rechte Schulter erheblich nach hinten zurückweicht. Das Verletzungsrisiko ist auch hier gering, der Stoß „läuft ins Leere“: so werden ausgebildete Kampfkünstler (idealer Weise) reagieren.
Im Sport trainiert man mit sensomotorischem Training den koordinierten Ablauf von Bewegungen, als Aktion oder Reaktion. Das betrifft alle Sportarten von der Leichtathletik über den Kraftsport, Ballspiele bis hin zum Kampfsport. In der Prävention und Rehabilitation trainiert man mit Sensomotorik das Balancieren von einwirkenden Kräften auf die Körperstatik mithilfe von Sinnesreizen bzw. Ausschaltung einzelner Sinne.
Tipp: machen Sie dieses Experiment! Um zu verstehen, was ich meine, machen Sie ein Experiment: nehmen Sie sich eine weitere Person und lassen Sie diese die Zeit stoppen. Stellen Sie sich auf ein Bein und verharren Sie in dieser Position. Sollten Sie länger als 1 Minute durchhalten, sind Sie sehr gut. Dann wiederholen Sie diesen Test: aber diesmal mit geschlossenen Augen. Die Ausschaltung eines koordinativen Sinnes macht die Angelegenheit erheblich schwerer. Hier gilt: sollten Sie länger als eine halbe Minute durchhalten, sind Sie sehr gut!
Sensomotorisches Training: was ist Sensorik, was Motorik?
Die Lage des Körpers im Raum, die einwirkenden Kräfte, die gerade stattfindende Bewegung wird hauptsächlich durch den Gleichgewichtssinn, den Sehsinn und den Hörsinn sowie den Tastsinn vermittelt und analysiert. Muskeln, Sehnen und Gelenke liefern die Informationen über die Lage des Körpers im Raum. Gehirn bzw. Rückenmark (Reflexe) analysieren diese Situation fortwährend anhand stattfindender Muskelkontraktion, Dehnreflexen und Gelenkbewegungen. Dieses Zusammenspiel nennt man Sensorik.
Auf die Analyse dieser Reize abgestimmt erfolgt eine motorische Reaktion. Die Bewegung erfolgt als Reaktion (bewusst oder unbewusst) auf einen sensorischen Reiz.
Sensomotorisches Training: welche Fähigkeiten profitieren davon?
- Die Fähigkeit, einen Bewegungsablauf mithilfe von Sinneswahrnehmungen in seiner Qualität beurteilen zu können
- Die Fähigkeit zur schnellen und koordinierten Reaktion auf Reize
- Die Fähigkeit, Teilbewegungen harmonisch aufeinander abzustimmen und zu seinem sinnvollen Ganzen zusammen zu führen
- Die Fähigkeit zur zielangepassten Veränderung der Lage und Ausrichtung des Körpers im Raum
- Die Fähigkeit, den Gleichgewichtszustand zu erhalten oder wiederherzustellen
- Die Fähigkeit, eine motorische Handlung laufend sich verändernden Umständen anzupassen (z.B. unerwartete Bewegungen motorisch zu „kontern“)
- Die Fähigkeit, den Rhythmus eines Bewegungsablaufes zu harmonieren, auch in Hinblick auf Effizienz und Vermeidung von Verletzungen
Sensomotorisches Training: welche Personen profitieren davon?
Es gibt eigentlich keine Sportart, bei der man nicht von sensomotorischem Training profitieren kann. Neben Sportlern ist das sensomotorische Training auch noch für viele andere Personen besonders sinnvoll:
- Bei Bewegungseinschränkungen
- Bei Verletzungen (Rehabilitation und Prophylaxe)
- Beim Verlust eines Sinnes
- Zur Osteoporose / Sturzprophylaxe
- Bei einem muskulären Ungleichgewicht
Wichtig für das sensomotorische Training sind die so genannten Propriozeptoren. Das sind „Sensoren“, die dem Gehirn bzw. dem Rückgrat „melden“, in welcher Stellung sich ein Gelenk (z.B. das Schulter- oder das Sprunggelenk) befindet. Das ist wichtig zur Verletzungsprophylaxe.
Was für Übungen und Hilfsmittel kommen infrage?
Im sensomotorischen Training wird zwischen Training für den Unterkörper und für den Rumpf unterschieden. Die Basis für das Training des Unterkörpers ist der Einbeinstand. Diesen Stand kann man mithilfe verschiedener Hilfsmittel erschweren bzw. eine Dynamik in die Übungen bringen, z.B. mit
- Labiler Unterlage (gerollte Gymnasikmatte, Bosu-Ball)
- Gleichgewichtsverlagerung (Standwaage, Kopfbewegungen)
- Störfaktoren (Schub oder Stoß – Partner!)
- Verlagerung des Gleichgewichts auf dem Fuß (Ballen – Ferse, Innenkante – Außenkante)
Kniebeugen auf labiler Unterlage wie Balancetrainer oder Eboard dienen ebenfalls der Entwicklung der Sensomotorik.
Die Basis für Übungen des Rumpfes sind der Vierfüßlerstand und der Liegestütz bzw. Plank. Hier kann man ebenfalls mit labilen Unterlagen, dem gegenläufigen Abheben von Armen und Beinen, Rollbewegungen z.B. auf dem Gymnastik- oder Pezziball und Gleichgewichtsstörungen die Sensomotorik trainieren.
Wie oft sollte man die Übungen machen?
Sensomotorische Übungen lassen sich problemlos in jedes andere Training integrieren, von Aerobic bis Kraftsport. Die meisten Sportschulen empfehlen drei- bis viermal wöchentlich ein Training von jeweils einer halben Stunde für einen Zyklus von 12 Wochen. Wer eine Sportart entweder auf Leistungsniveau betreibt oder zumindest vom Niveau her über ein reines Hobby hinaus, der trainiert in sechs- bis zwölfwöchigen Zyklen, beginnend mit allgemeinen Bewegungen für sensomotorisches Training, hin zu immer sportartspezifischeren Bewegungsabläufen. Die Gesamtheit all dieser Zyklen ergibt einen Makrozyklus, die sechs- bis zwölfwöchigen Zyklen sind jeweils so genannte Mesozyklen.
Das sensomotorische Training ist (noch) das „Aschenputtel“ unter den Trainingsmethoden: nur wenige kümmern sich darum. Aber wer Sport über das reine Hobby hinaus betreibt oder mit körperlichen Einschränkungen zu tun hat, sollte in jedem Fall einen Blick auf diese sinnvollen Trainingsmaßnahmen werfen. Auch von sportspezifischen sensomotorischen Übungen profitieren nämlich Alltagsabläufe. Osteoporose-Patienten profitieren sogar doppelt: die Krafteinwirkung setzt Reize zur Bildung und Ausrichtung der Knochensubstanz und durch die Übungen wird aktive Sturzprophylaxe betrieben!
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